Baedeker.- Wagner, Carl. Eduard Wagner Darmstadt, geographisch, lithographische Anstalt u. Steindruckerei / Karl Baedeker Koblenz, Verlagshandlung und Sortiment. Ihre Entstehung und ihre Zusammenarbeit. Unveröffentlichtes Typoskript. Leipzig 1927. 29 x 23,5 cm. Zusammen 7 nn. Bl. und 362 einseitig beschriebene Blätter. Mit 14 Fotografien, 10 teils mehrseitige handgeschr. Briefen [Karl Baedeker (4), Ernst B. (1), Ed. Wagner (1), Karl Baedeker II (2) u. Heinr. Kiepert (1)], 17 Ansichten u. Dokumenten, 20 Karten bzw. Plänen (Orig.-Zeichnungen (6) u. (Probe-)drucken) sowie 2 Zeitungsausschnitten. Original-Halbpergamentband mit gold. Rücken-Titel.
Die vorliegende Chronik dokumentiert die nahezu ebenbürtigen Rollen der Firmen Baedeker und Eduard Wagner in ihrer Entstehung und fast symbiotischen Zusammenarbeit über mehrere Generationen. Anhand dieser einzigartigen Quelle entsteht ein anschauliches Bild von der redaktionellen sowie kartografischen Entwicklung der Reiseführer und der damit einhergehenden Expansion der beiden Unternehmen. Erst durch das Zusammenwirken beider Firmen wurde das qualitativ hohe Niveau erreicht, das den Namen Baedeker lange Zeit zum Synonym für den Reiseführer des Individualtouristen werden ließ.
Zunächst wollte der Autor der Chronik, Carl Wagner, Enkel des Firmengründers Eduard Wagner, nur die Entwicklung der Darmstädter Zeit des Hauses Wagner dokumentieren. Dabei entstand jedoch zugleich auch eine Geschäftsgeschichte des Hauses Karl Baedeker, so dass Carl Wagner konstatiert: „Die Ausführlichkeit in der Behandlung der ersten Inhaber der Firma Baedeker hielt ich für notwendig, um Nachfahren zu beweisen, wie unsere Firma durch Euch (die Firma Karl Baedeker) kartographisch erzogen wurde und nur diesen Weg der Entwicklung nehmen konnte.“ (aus dem Anschreiben zur Übersendung). Das inzwischen anstehende 100-jährige Firmenjubiläum des Baedeker-Verlags bot dann den willkommenen Anlass zur Erstellung der Firmengeschichte in dieser Form.
Carl Wagner nutzte für seine Studie Briefe, Bilder und Dokumente aus dem hauseigenen Archiv, die er transkribierte, kommentierte und ggf. ergänzte. Das Material zur Firma Baedeker wurde ihm von einer Enkelin Karl Baedekers zur Verfügung gestellt, die ebenfalls im Verlag tätig war. Sie überließ ihm auch einige besondere Archivalien wie handgeschriebene Briefe, Fotografien, Probedrucke und Vorlagen-Zeichnungen. Durch die Einbindung dieser zahlreichen Belege wurde aus der Chronik ein einzigartiges Dokument.
Die Chronik ist in fünf Kapitel gegliedert. Zunächst werden Aufbau und Entwicklung der geograph. lith. Anstalt u. Steindruckerei dargestellt. Eduard Wagner (1811-1885) gründete dieses Unternehmen 1835 in Darmstadt. Er „empfiehlt sich für Zeichnung, Stich u. Druck von Landkarten, Pläne etc. schwarz u. in Farbdruck“.
Das zweite Kapitel beginnt mit der Gründung der Sortiments- und Verlagsbuchhandlung im Jahr 1827 durch den Buchhändler Karl Baedeker (1801-1859) in Koblenz. 1832 erwarb Baedeker aus dem Konkurs des Verlags F. Röhling u.a. das von J. A. Klein verfasste Werk „Rheinreise“, das er in den Folgejahren textlich mehrfach überarbeitete, mit Beigaben mehrerer Ansichten und der Rheinlaufkarte erweiterte und verlegte. Daraus entstand der erste ‚richtige‘ Baedeker. Dieser war dann das Muster des umfangreichen und sich ständig erweiternden Reiseführer-Programms für viele Gebiete Deutschlands, Europas und darüber hinaus.
1841 fiel dem ambitionierten Verleger ein Plan von Mainz aus dem Jahr 1835 in die Hände. Urheber war Eduard Wagner in Darmstadt. Ein Probeauftrag von ersten Plänen erfüllte Baedekers Anforderungen an die Qualität. Damit begann die erfolgreiche Zusammenarbeit der beiden Firmen. In den folgenden Jahrzehnten bis zum Zweiten Weltkrieg lieferte die Firma Eduard Wagner den Großteil des Kartenmaterials für die Baedeker Reiseführer.
Die Briefe vom Beginn der Zusammenarbeit zeichnen ein lebendiges Bild des Alltags mit all seinen Problemen bei den Neuerscheinungen bzw. Neuauflagen der Reiseführer, insbesondere auch die Herausforderungen bei der Aktualisierung der zahlreichen Karten und Pläne. Die detaillierte Abstimmung unendlich vieler Details zwischen Koblenz und Darmstadt in der vordigitalen Zeit war schwierig. Gute Kartenzeichner waren kaum zu finden, und der wirtschaftliche Erfolg der Reiseführer hatte die permanente Überarbeitung durch Karl Baedeker und Eduard Wagner zur Folge, um stets aktuell und verlässlich zu sein.
Im November 1872 wurde die Firma Karl Baedeker (inzwischen vom gleichnamigen Sohn des Firmengründers und von seinem Bruder Fritz geleitet) von Koblenz in die Buchhandelsmetropole Leipzig verlegt. Eduard Wagner übergab seinem Sohn Heinrich die Firma. Auch dieser zog, unter dem Druck Karl Baedekers, mit seiner Firma nach Leipzig. Ab 1874 residierten dann schließlich beide in einem gemeinsamen Gebäude in der Brüderstraße, was die Zusammenarbeit grundlegend erleichterte.
Aus eigenem Antrieb und wiederum auf Drängen von Karl Baedeker wurde der junge Kartograph Ernst Debes Teilhaber der neuen Firma Wagner & Debes. Debes kam aus der in der Kartographie führenden Schule von August Petermann in Gotha und war schon seit 1870 als freier Mitarbeiter für den Baedeker-Verlag tätig gewesen. Er galt als einer der besten Spezialisten seiner Zunft. Ein von ihm gezeichneter, der Chronik beigegebener Plan von Amsterdam beweist deutlich den Unterschied zu den noch in Darmstadt bearbeiteten Plänen.
Während das zweite und dritte Kapitel sich zeitlich und thematisch nicht streng trennen lassen, kommt im vierten Kapitel Ernst Debes zu Wort. Wagner fügt an dieser Stelle zwei Texte von Ernst Debes ein: „Vor 50 Jahren“ – Erinnerungen an seine persönlichen u. geschäftlichen Beziehungen mit dem Hause Baedeker und Ed. Wagner bis zum gemeinsamen Standort in Leipzig. Durch die Aufnahme eines Beitrags „Ernst Debes, sein Schaffen und Wirken vor seiner Vereinigung mit Heinrich Wagner 1840-1872“ aus dem Geographischen Anzeiger, setzt er ihm ein zusätzliches Denkmal.
Ein 16-seitiger Anhang schließt das materialreiche Werk ab. Hier sind alle Auflagen der Baedekerschen Reisehandbücher von 1839 bis 1878 aufgelistet, mit Nennung des Erscheinungsjahrs, der Textdrucker und der Auflagenhöhe. Da der Verlag in Leipzig im 2. Weltkrieg komplett zerstört wurde, liegt hier höchstwahrscheinlich die einzig bekannte systematische Liste mit Daten über die Anzahl der gedruckten Exemplare der erschienenen Reisehandbücher im genannten Zeitraum vor.
Die vorliegende Chronik ist ein authentisches Zeugnis über die Entstehung und Zusammenarbeit der bedeutenden Unternehmen Baedeker und Wagner: „Ihr Fleiß, ihre Entbehrungen, ihr Schaffensdrang, ihr sich Vertiefen in ihre einmal erkannte Lebensaufgabe wurde uns wiederholt aus eigenem Mund, aus den Schilderungen damaliger Zeitumstände vor Augen geführt.“ Auffallendes Merkmal ist, dass der Umgang der Geschäftspartner stets geprägt war von hohem gegenseitigem Respekt und großer Fairness. Sind die außerordentlich zahlreichen Details für den heutigen Leser auch zunächst schwer nachzuvollziehen, erschließt sich nach und nach das ganze Universum der Baedeker-Welt, an dem beide Unternehmen wohl einen gleichbedeutenden Anteil haben.